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September 27, 2010

Ulrich Nersinger, "Liturgien und Zeremonien am Päpstlichen Hof" - Vorwort


Nachrichten, Berichte und Reportagen aus dem Vatikan finden immer mehr Beachtung, sie stoßen auf ein interessiertes Publikum. Die Ereignisse im April des Jahres 2005 – Tod und Beisetzung Johannes Paulus II., die Sedisvakanz des Apostolischen Stuhles, das Konklave mit der Wahl Benedikts XVI., die Feier der symbolischen Amtsübernahme durch den neuen Pontifex – führten sogar zu einem Hype, einem gewaltigen Medienereignis, das seinesgleichen suchte. Im Fokus der Neugier begann man den Vatikan zu erforschen und seine Sprache zu entschlüsseln. Das Wort „Konklave“ gehörte 2005 zu einem der am häufigsten nachgeschlagenen Begriffe; rund acht Millionen Internetnutzer suchten auf der Website des amerikanischen Wörterbuch-Verlages Merriam-Webster nach einer Definition.

Das Geschehen auf dem kleinen Flecken Land mitten im Herzen der Ewingen Stadt fasziniert nicht nur die Welt, sondern ist auch innerkirchlich wieder ein Thema geworden. In der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) war es unter Katholiken lange verpönt gewesen, sich für den Sitz ihres Oberhauptes in Rom zu interessieren. Eine eingeengte, verirrte Sicht auf die Kirchengeschichte betrachtete die mehr als sechzehn Jahrhunderte, die zwischen der Konstantinischen Wende und der Kirchenversammlung der Moderne lagne, als eine Art „Sündenfall“, der in „den unheilvollen Machtstrukturen des Vatikans“ weiterhin fortlebte. Heute verwehren sich immer mehr Gläubige einer derartigen, ideologisch motivierten Interpretation. Sie nehmen Abstand von einer in sich selbst verliebten Kritik kirchlicher Alt-68er und beginnen, sich wieder für „das Katholische“ zu begeistern – und selbstbewusst, auf den Reichtum einer zweitausendjährigen Geschichte zurückzuschauen und ihn für die Gegenwart und die Zukunft zu nutzen.


Das Zweite Vatikanische Konzil erwirkte Reformen, die auch auf die vom Papst vollzogenen Liturgien und Zeremonien großen Einfluß nahmen: auf die feierlichen Gottesdienste in St. Peter und in den übrigen Patriarchalbasiliken der Ewigen Stadt, die Selig- und Heiligsprechungen der Kirche, die Verleihung des römischen Purpurs, die Audienzen und Staatsbesuche im Vatikan. 1968 unterzog Paul VI. (Giovanni Battista Montini, 1963-1978) den Päpstlichen Hof mit dem Motu Proprio Pontificalis Domus einer radikalen Neuordnung. Ämter wurden umbenannt, zusammengelegt oder abgeschafft. Dem Einfluß des römischen Adels und Patriziats setzte der Pontifex ein Ende, im Vatikan galt ab nun kein einziges Amt mehr als erblich. Der Dienst der vier militärischen Formationen des Heiligen Stuhles – Nobelgarde, Schweizergarde, Palatingarde und Gendarmerie – wurde auf ein Minimum reduziert (zwei Jahre später schaffte man drei der Garden ab). Es blieb aber der Wunsch des Papstes, daß „Unser alter wohlverdienter Hof – welcher von jetzt ab nur noch den ursprünglichen und angesehenen Namen ‚Päpstliches Haus’ tragen soll – weiter in ehrenvollem Glanz stehen“ möge.


Was aber macht diesen „ehrenvollen Glanz“ aus? Wie gestalten sich höfisches Zeremoniell einerseits und Päpstliche Liturgien andererseits? Und wie haben sie sich seit diesem Einschnitt vor gut 40 Jahren verändert? – Liturgien und Zeremonien am Päpstlichen Hof beleuchtet aus dieser Fragestellung heraus nicht nur das Geschehen vor den Reformen, sondern es illustriert dem Leser auch die Entwicklung bis in die jüngste Zeit hinein.


Indes ist das Interesse am Papst, an seiner Umgebung und dem offiziellen, zeremoniellen Geschehen im Vatikan nicht auf eine gesellschaftliche Gruppierung beschränkt. Der Verfasser entschied sich daher, seine Darstellungen und Erläuterungen „breit anzulegen“, das Leben und Wirken am Päpstlichen Hof bzw. Päpstlichen Haus einer größeren Leserschaft zu vermitteln. So verzichten die beiden Bände zwar nicht auf notwendige Fachausdrücke und Fußnoten, die zu einer Vertiefung und Auseinandersetzung mit dem Mitgeteilten einladen, und bemühen sich wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht zu werden, haben aber zuvorderst die Intention, einen allgemeinverständlichen und ausgewogenen Gesamtüberblick zu präsentieren.


Vatikanische Liturgien und Zeremonien lesegerecht darzustellen, wird durch eine Reihe von Umständen erschwert. Die Gottesdienste, Konsistorien und Audienzen des Papstes sind auf ihre Art Unikate. Obwohl ein Grundgerüst vorgegeben ist, wird doch jedes Geschehen von den Päpstlichen Zeremonienmeistern und den Verantwortlichen des Päpstliches Hauses immer wieder neu konzipiert – den jeweiligen Gegebenheiten und Möglichkeiten angepaßt. So kann der Ablauf dieser Feiern in der Regel nur als Ideal oder anhand eines konkreten historischen Ereignisses aufgezeigt werden. Auch die offizielle Berichterstattung hält Überraschungen bereit und führt unvermutet zu Hürden in der Darstellung. Ist eine vatikanische Feier durch ein libretto („Programmheft“), in einem Artikel des Osservatore Romano und mit einer Niederschrift in den Acta Apostolicae Sedis für die Nachwelt festgehalten, wird man sich nicht selten wundern, dass die Texte nich nur von einander, sondern auch vom tatsächlichen Geschehen selbst abweichen. Auf dem Gebiet der Forschung ergaben sich andere Probleme. Eine noch detailliertere Erschließung von Quellen in situ gestaltete sich durch die langzeitige Reorganisation des Archivs der Päpstlichen Zeremonienmeister als schwierig, ebenso war die Konsultierung mancher fachspezifischer Literatur aufgrund der fortdauernden Schließung der Apostolischen Bibliothek nur eingeschränkt möglich.


Der Verfasser hofft, dass Liturgien und Zeremonien am Päpstlichen Hof dem Leser einen verständlichen und informativen Einblick in die Geschichte, die Zusammensetzung und das Wirken einer der ältesten Institutionen der Erde ermöglicht.

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Ulrich Nersinger, Liturgien und Zeremonien am Päpstlichen Hof, t. I, Bonn 2010, s. 3-4.